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Haftungsbescheid gegen den ehemaligen Gesellschafter-Geschäftsführer

Nichtanerkennung Fahrtenbuch, LSt-Außenprüfung

Fragestellung

Der Mandant war vom 01.07.2011 – 31.12.2012 als Gesellschafter-Geschäftsführer an einer GmbH beteiligt.

Im Zeitraum 30.06.2014 – 20.07.2015 fand eine Lohnsteuerprüfung bei der der GmbH für den Prüfungszeitraum 2010 – 2014 statt. Vom Prüfer wurden angeblich erhebliche Mängel bei der Führung des Fahrtenbuches des Mandanten festgestellt. Insoweit wurde das Fahrtenbuch verworfen und eine Nachversteuerung bezüglich der 1 %-Methode durchgeführt. Die Feststellungen des Prüfers wurden dem Mandanten in keiner Weise mitgeteilt bzw. erläutert.

In 2015 fand eine Schlussbesprechung statt, bei der geregelt wurde, dass bezüglich der Lohnsteuerforderungen aus der Nachbesteuerung (1 %-Methode) ein Haftungsbescheid gegenüber der GmbH ohne Leistungsgebot (Zahlungsaufforderung) erlassen wird! Die Besteuerung soll per Kontrollmitteilung vom Wohnsitzfinanzamt des Mandanten durchgeführt werden.

Bei der Schlussbesprechung mit dem Lohnsteuerprüfer war der Mandant nicht anwesend, da er zu dem Zeitpunkt nicht mehr Gesellschafter und Geschäftsführer war und er wurde auch nicht hinzugezogen. Die voraussichtlichen Änderungen wurden nur mündlich seitens der Gesellschaft mitgeteilt.

1) Unseres Erachtens hat der Mandant keine Einspruchsmöglichkeit gegen den Haftungsbescheid, da er kein Geschäftsführer/Gesellschafter mehr ist. Können gegen die Feststellungen der Lohnsteuerprüfung noch anderweitige Rechtsmittel seitens des Mandanten gegenüber der Finanzverwaltung eingelegt werden?

2) Ist ein Rechtsmittel (Einspruch) bei der Berichtigung der Einkommensteuer-Veranlagungen für die Kalenderjahre 2011 und 2012 möglich, oder gilt der Haftungsbescheid gegenüber der GmbH gleichzeitig als Grundlagenbescheid für die Änderung der Einkommensteuer-Veranlagungen bei dem Mandanten?

Kurzgutachten

Darf der Arbeitnehmer den Dienstwagen kostenlos oder verbilligt auch für Privatfahrten bzw. für Fahrten zwischen Wohnung und erster Tätigkeitsstätte nutzen, ist der darin liegende Vorteil steuerpflichtiger Arbeitslohn und beitragspflichtiges Arbeitsentgelt. Der geldwerte Vorteil kann nach der sog. 1-%-Regelung (pauschale Nutzungswertermittlung) oder nach der Fahrtenbuchmethode (individuelle Nutzungswertermittlung) berechnet werden.

Gesetzliche Regelungen finden sich in § 8 Ab 2 Sätze 2 und 3 EStG i. V. m. § 6 Abs. 1 Nr. 4 S. 2 EStG (1-%-Regelung) sowie in § 8 Abs. 2 S. EStG (Fahrtenbuch-Regelung). Die Finanzverwaltung hat in R 8.1 Abs. 9 LStR zur Überlassung von Firmenwagen an Arbeitnehmer ausführlich Stellung genommen.

Der gesetzliche Vorrang der 1-%-Regelung ist im Lohnsteuerverfahren dann von Bedeutung, wenn sich beispielsweise im Rahmen einer Lohnsteuer-Außenprüfung herausstellt, dass die gewählte Einzelnachweismethode rückwirkend versagt werden muss, weil die Aufzeichnungen des Fahrtenbuchs nicht ordnungsgemäß vorgenommen wurden.

Der BFH bestätigte in mehreren Urteilen die Verwaltungsauffassung, die im Fall der steuerlichen Nichtanerkennung des Fahrtenbuchs die nachteilige Besteuerung nach der 1-%-Regelung als einzige Alternative zur Folge hat (BFH, Urteil v. 9.11.2005, VI R 27/05, BStBl 2006 II S. 408; BFH, Urteil v. 16.11.2005, VI R 89/04, BStBl 2006 II S. 410; BFH, Urteil v. 16.3.2006, VI R 87/04, BStBl 2006 II S. 625; BFH, Urteil v. 1.3.2012, VI R 33/10, BStBl 2012 II S. 505).

Der Arbeitgeber hat die LSt für Rechnung des Arbeitnehmers bei jeder Lohnzahlung vom Arbeitslohn einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Dabei wird die Jahres-LSt nach dem Jahresarbeitslohn so bemessen, dass sie der ESt entspricht, die der Arbeitnehmer schuldet, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt (§ 38a Abs. 2 EStG). Bei der Ermittlung der LSt werden die Besteuerungsgrundlagen des Einzelfalls durch die Einreihung der Arbeitnehmer in StKl, Feststellung von Frei- und Hinzurechnungsbeträgen sowie Bereitstellung von ELStAM oder Ausstellung von entsprechenden Bescheinigungen für den LSt-Abzug berücksichtigt (§ 38a Abs. 4 EStG).

Kann der Arbeitgeber für die nachzufordernde LSt in Anspruch genommen werden und hat er seine Zahlungsverpflichtung nach Abschluss der Außenprüfung nicht bereits schriftlich anerkannt, so erlässt das Betriebsstätten-Finanzamt einen Haftungsbescheid. Der Haftungsbescheid ist ein (sonstiger) Verwaltungsakt i.S.d. § 118 AO. Damit sind gem.§§ 119 ff AO bestimmte Anforderungen an Form und Inhalt zu erfüllen (formelle Voraussetzungen). Danach muss der Haftungsbescheid inhaltlich hinreichend bestimmt, begründet und unterschrieben sein. Nach § 219 Satz 2 AO kann die Inanspruchnahme des Arbeitgebers auf Zahlung der LSt erfolgen, ohne dass sich das FA vorher an die Arbeitnehmer als Steuerschuldner wenden muss.

Der Arbeitgeber hat bei jeder Lohnzahlung die Steuerabzugsbeträge für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten (§ 42d EStG). Diese dem Arbeitgeber auferlegte gesetzliche Abzugsverpflichtung lässt die Eigenschaft des Arbeitnehmers als Steuerschuldner unberührt. Allerdings kann der Arbeitgeber anstelle des Arbeitnehmers als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden, wenn er seiner Verpflichtung nicht rechtmäßig nachkommt. Besonders im Anschluss an eine Lohnsteuer-Außenprüfung stellt sich häufig die Frage, ob die Lohnsteuernachforderung gegenüber dem Arbeitnehmer, der nach § 38 Abs. 2 EStG Schuldner der Lohnsteuer ist, oder gegenüber dem Arbeitgeber als Haftungsschuldner geltend zu machen ist.

Die im Lohnsteuerverfahren zu wenig einbehaltenen Steuerabzugsbeträge sind beim Arbeitnehmer im Wege eines Lohnsteuernachforderungsbescheids oder aber im Wege einer Änderung des Einkommensteuerbescheids, falls eine Einkommensteuerveranlagung durchgeführt worden ist, immer dann nachzuerheben, wenn der Erlass eines Haftungsbescheids gegenüber dem Arbeitgeber entweder gesetzlich oder im Rahmen der Ermessensausübung ausgeschlossen ist.

Im Rahmen der Ermessensprüfung haben Rechtsprechung und Verwaltung folgende Grundsätze festgelegt, in denen die vorrangige Inanspruchnahme des Arbeitgebers regelmäßig ausgeschlossen (R 42d.1 Abs. 4 LStR 2008) und die Lohnsteuerforderung deshalb gegenüber dem Arbeitnehmer geltend zu machen ist.

Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist insbesondere dann ermessensfehlerhaft, wenn das Finanzamt die Lohnsteuer ebenso schnell und einfach beim Arbeitnehmer nachfordern kann, weil die Nachholung nur einen oder wenige Arbeitnehmer betrifft oder weil der Arbeitnehmer ohnehin zur Einkommensteuer zu veranlagen ist. Dies gilt insbesondere, wenn der Arbeitnehmer bereits aus dem Betrieb ausgeschieden ist.

Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer deshalb zu niedrig einbehalten, weil er sich in entschuldbarer Weise über Fragen des Lohnsteuerrechts geirrt hat, ist der Erlass eines Haftungsbescheids ebenfalls rechtswidrig. Dies gilt insbesondere dann, wenn das Finanzamt eine falsche oder unklare Auskunft erteilt hat oder wenn das Finanzamt von einer falschen Berechnungsmethode Kenntnis hatte, ohne dies zu beanstanden (BFH, Urteil v. 25.10.1985, VI R 130/82, BStBl 1986 II S. 98).

Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers ist auch dann ausgeschlossen, wenn er den Lohnsteuerabzug ohne Berücksichtigung von Gesetzesänderungen durchgeführt hat, soweit es ihm in der kurzen Zeit zwischen der Verkündung des Gesetzes und den folgenden Lohnabrechnungen nicht zumutbar war, die Gesetzesänderungen zu berücksichtigen.

Die Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner ist ausgeschlossen, wenn die Steuer beim Arbeitnehmer deshalb nicht nachgefordert werden kann, weil seine Veranlagung zur Einkommensteuer bestandskräftig ist und die Korrekturvorschriften der AO einer Änderung entgegenstehen, insbesondere eine Änderung wegen neuer Tatsachen ausscheidet (BFH, Urteil v. 9.10.1992, VI R 47/91, BStBl 1993 II S. 169).

Fazit

Die LSt-Außenprüfung selbst entfaltet keine unmittelbare Wirkung gegenüber den Arbeitnehmern, da diese nicht Beteiligte in diesem Verfahren sind. Allerdings können im Rahmen der LSt-Außenprüfung festgestellte Tatsachen bei der Festsetzung der ESt gegenüber dem Arbeitnehmer verwertet werden. Bestandskräftige Festsetzungen können nach § 173 Abs. 1 AO geändert werden, da die Vorschrift nicht danach differenziert, in welcher Weise die neuen Tatsachen der Veranlagungsstelle des FA nachträglich bekannt geworden sind (BFH vom 13.01.2011, VI R 61/09 BStBl II 2011, S. 479). Bezüglich der durch die LSt-Außenprüfung erlangten Kenntnisse besteht zudem zugunsten des Arbeitnehmers kein Verwertungsverbot, auch wenn die Prüfungsanordnung vom Arbeitgeber erfolgreich angefochten worden ist (BFH v. 9.11.1984, VI R 157/83, BStBl II 1985, S. 191).

Die Änderungssperre des § 173 Abs. 2 AO findet keine Anwendung auf die Festsetzung der ESt gegenüber dem Arbeitnehmer, da sich die LSt-Außenprüfung nur gegen den Arbeitgeber richtet und damit nicht das Veranlagungsverfahren betrifft, sodass die ESt-Bescheide gegenüber dem Arbeitnehmer nicht nach § 173 Abs. 2 AO aufgrund der LSt-Außenprüfung ergehen (BFH v. 9.11.1984, VI R 157/83, BStBl II 1985, S. 191).

Durch die LSt-Außenprüfung wird die Festsetzungsfrist für die ESt des Arbeitnehmers nicht nach § 171 Abs. 4 AO gehemmt, da die LSt-Außenprüfung allein den Arbeitgeber und damit ein anderes Steuerrechtsverhältnis betrifft als das Veranlagungsverfahren gegenüber dem Arbeitnehmer (BFH vom 15.12.1989, VI R 151/86, BStBl II 1990, S. 526). Durch Gesetz v. 26.6. 2013 BGBl I 2013, S. 1809) ist in § 171 Abs. 15 AO jedoch eine entsprechende Regelung zur Ablaufhemmung für die ESt des Arbeitnehmers eingefügt worden. Nach dieser Vorschrift endet die Festsetzungsfrist gegenüber dem Steuerschuldner nicht vor Ablauf der gegenüber dem Steuerentrichtungspflichtigen geltenden Festsetzungsfrist, soweit ein Dritter die Steuern für Rechnung des Steuerschuldners einzubehalten und abzuführen oder für Rechnung des Steuerschuldners zu entrichten hat. Mit der Neuregelung soll abweichend von der bisherigen Rspr. des BFH sichergestellt werden, dass sich die durch die LSt-Außenprüfung beim Arbeitgeber ausgelöste Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 AO für die LSt auch auf die Festsetzung der ESt beim Arbeitnehmer auswirkt.

Der Arbeitgeber kann als Beteiligter der LSt-Außenprüfung gegen die Prüfungsanordnung Einspruch einlegen. In gleicher Weise kann er einzelne Anforderungen von Auskünften und Unterlagen durch den LSt-Außenprüfer mit dem Einspruch anfechten, da hierdurch konkrete, mit Zwangsmitteln durchsetzbare Rechtspflichten geregelt werden und es sich damit um Verwaltungsakte handelt (Frotscher, in Schwarz, AO, § 118 AO Rz. 7a). Da der Arbeitnehmer nicht unmittelbar Beteiligter der LSt-Außenprüfung ist, steht ihm in gegen deren Anordnung kein Rechtsbehelf zu.

Sachverhaltsbezogen hat der Arbeitnehmer lediglich die Möglichkeit Einspruch gegen die geänderten ESt-Bescheide einzulegen; der Haftungsbescheid gegenüber der GmbH ist kein Grundlagenbescheid für die Einkommensteuer-Veranlagung des Arbeitnehmers (lediglich Kontrollmitteilung!).

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